Das Bundesverfassungsgericht hat ein zweifelhaftes Urteil gefällt: Nach dessen Auffassung ist der Solidaritätszuschlag auch nach 34 Jahren noch verfassungsgemäß, obwohl diese Ergänzungsabgabe anfangs nur befristet – erst seit 1995 unbefristet – erhoben werden sollte. Damit ist die Verfassungsbeschwerde von sechs FDP-Politikern gescheitert.
Die Begründung des obersten Gerichts ist nicht ausreichend, um den Solidaritätszuschlag beizubehalten. Demnach habe der Bund weiter einen zusätzlichen Finanzierungsbedarf durch die deutsche Wiedervereinigung. Die Argumentation, die dahinter steht, lautet Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost- und Westdeutschland. Doch diese wird niemals zu erreichen sein. Sie wurde bis heute auch nicht in Westdeutschland vollzogen. Dazu gibt es zu viele Einflussfaktoren, die die Rahmenbedingungen in den Regionen immer wieder verändern. Nicht von ungefähr, gibt es einen Länderfinanzausgleich, der die finanziell und wirtschaftlich schwächeren Bundesländer unterstützt. Auch die östlichen Bundesländer wurden nach der Wiedervereinigung Teil dieses Mechanismus. Einen Solidaritätszuschlag braucht es dafür nicht mehr.
Zugegeben, für die große Mehrheit der Steuerzahler ist der Soli mit der Reform von 2021 weggefallen. Deshalb war es unglücklich – vielleicht auch für die Urteilsfindung, dass die Kläger sowie viele Medien meist von einer Abgabe gesprochen haben, die die Reichen zu zahlen haben. Insofern bleibt der Aufschrei über dieses Urteil bei den meisten Menschen wohl aus. Fakt jedoch ist, jede Bundesregierung hätte im Rahmen eines Umverteilungsinteresses die Möglichkeit, den Spitzensteuersatz anzuheben und den Soli komplett abzuschaffen.
Fakt ist auch, alle Kapitalanleger müssen, sobald sie ihren persönlichen Freibetrag von 1000 Euro (Ehepartner 2000 Euro) überschreiten, auf alle Kapitalerträge wie Zinsen oder Dividenden und den Gewinn aus dem Verkauf von Kapitalanlagen, einen Solidaritätszuschlag von 5,5 Prozent zahlen. Das ist erstens ungerecht, weil es in diesem Fall auch Menschen mit einem niedrigen Einkommen treffen kann. Zweitens wird die Motivation eingeschränkt, über den Kapitalmarkt selbst für das Alter vorzusorgen, da die Rendite der Anlagen sinkt. Dabei haben die Politiker doch immer wieder an die Menschen appelliert, genau dies zu tun. Es ist also ein Widerspruch. Heilen könnte die Bundesregierung dies nur mit einer deutlichen Erhöhung – mindestens einer Verdopplung – des Sparerfreibetrags.
Schließlich ist es Fakt, keine Bundesregierung würde auf absehbare Zeit freiwillig auf die 12 bis 13 Milliarden Euro Soli-Einnahmen pro Jahr verzichten. Sie käme andernfalls in erhebliche Sparzwänge oder hätte die Notwendigkeit, Steuern zu erhöhen, um einen verfassungsgemäßen Haushalt zu erstellen. So kann die Bundesregierung, ohne frühere Versprechen einhalten zu müssen, leicht über eine große Summe Geld verfügen. Geradezu ironisch zu werten ist die Anmerkung der Richter, eine solche Ergänzungsabgabe dürfe nicht zeitlich unbegrenzt erhoben werden. Den Gesetzgeber treffe eine »Beobachtungsobliegenheit«. Eine solche Abgabe könnte verfassungswidrig werden, sobald der festgestellte Mehrbedarf wegfällt. Wenn dieser festgestellte Mehrbedarf in Form eines Gutachtens ermittelt wird, braucht es jedoch nur die richtigen Autoren für ein entsprechend positives Ergebnis. Erfolgreiche Kapitalanleger müssen sich demnach zähneknirschend damit abfinden, ungerecht behandelt zu werden. Deren Lobby ist einfach nicht stark genug.
Es gibt nichts Schwierigeres, als in Deutschland eine Steuer oder eine Abgabe wieder abzuschaffen.
Der Witz an dem Urteil ist, dass noch immer ein Finanzierungsbedarf für Ostdeutschland unterstellt wird. Wenn man manche westdeutsche Stadt betrachtet, bräuchte man dort viel mehr Geld zur Sanierung. Einige ostdeutsche Städte sind dagegen richtige Schmuckkästchen geworden.