Für einige Menschen scheint Rache besonders süß zu sein, wenn sie sicher sein können, unentdeckt zu bleiben. Wenn sich zudem der Aufwand für die Vergeltung in Grenzen hält, dürfte die Genugtuung für die Rächer doppelt schön sein. Die Krönung schließlich ist, wenn das Opfer damit zum Subjekt öffentlichen Spots wird. Der Leidtragende bleibt bedröppelt zurück und hat keine Chance, die stillen Rächer zu stellen.
Geheime Wahlen für hohe politische und damit öffentliche Ämter sind für manche Politiker gut geeignet, einem Kandidaten eins auszuwischen. Gründe gibt es genügend: der eine hat nicht das erwünschte Pöstchen bekommen. Die andere ist mit einer Richtungsentscheidung des Spitzenkandidaten nicht einverstanden. Der Dritte hatte noch eine persönliche Rechnung offen. So ist schon mancher bei Wahlgängen zum Ministerpräsidenten überraschend abgestraft worden. Das berühmteste Beispiel ist Heide Simonis, die in vier Wahlgängen nicht die erforderliche Mehrheit bekam, um Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein zu werden.
Perfide ist das Vorgehen der Rächer, wenn sie sich in Probeabstimmungen für den Kandidaten oder die Kandidatin aussprechen, in der entscheidenden geheimen Wahl, aber ihre Zustimmung verwehren. Ein solches Vorgehen ist leicht, aber feige, weil die Rächer die offene Auseinandersetzung gescheut hat, um die Probleme zu klären. Zudem kann die Befriedigung nur von kurzer Dauer sein, schließlich dürfen die Abtrünnigen ihren Sieg niemals auskosten. Das Risiko erwischt zu werden, wäre zu groß.
Im Falle des Bundeskanzlerkandidaten Friedrich Merz war die Aktion der 18 Bundestagabgeordneten der Koalition, die ihm im ersten Wahlgang die Stimme verweigert hatten, kurzsichtig, verantwortungslos und dumm. Sie haben mit diesem Novum nicht nur ihrem eigenen Mann im Ansehen geschadet, sondern auch Deutschland. Es war ein peinliches Manöver, das sicher auch im Ausland für Irritationen sorgte. Dass Merz im zweiten Anlauf zum zehnten Bundeskanzler Deutschlands gewählt wurde, ist eine Erleichterung. Eine längere Hängepartie hätte das Debakel vergrößert. Merz startet aber mit einer Hypothek in seine Amtszeit, die ihm das Arbeiten vorerst erschweren wird, zumal Misstrauen gesät wurde
Erstens wäre es nach den ständigen Streitereien in der Ampel-Koalition und deren vorzeitigen Scheitern besser gewesen, die Abweichler hätten Merz einen reibungslosen Start ermöglicht – egal, wie sie zu ihm stehen. Die neue Bundesregierung muss schnell Vertrauen in der Bevölkerung gewinnen und zügig die vielen Probleme angehen können. Zweitens haben die Abweichler der AfD in die Karten gespielt. Die feixenden und feiernden Abgeordneten der Partei im Bundestag sprachen Bände. Drittens gibt es Situationen, in denen sollten die Unzufriedenen den eigenen Unmut schlucken und im Sinne des Landes und der Demokratie handeln.
Trotz des Schocks nach der negativen Überraschung, können wir ein positives Fazit ziehen. Am Ende des Tages siegte das Verantwortungsgefühl im Parlament. Zum einen, weil sich die Fraktionen und die Abgeordneten schnell auf den zweiten Wahlgang einigten und die Wahl erfolgreich zu Ende brachten. Zum anderen zeigt sich, das Grundgesetz ist eine starke Basis. Zudem kann unsere Demokratie solche Dämpfer verkraften und überwinden. Gleichwohl sollten wir ihre Stabilität nicht bis zum Äußersten ausreizen.