Endlich haben die Medien wieder ein Thema, über das sie sich kräftig empören können. Der gesamte Entrüstungswortschatz darf wieder zum Einsatz kommen und die Schlagzeilen geben die geballte Aufgebrachtheit der Journalisten wieder. Es muss etwas Fürchterliches, von Menschenhand Ausgelöstes passiert sein: Ein Anschlag? Ein Attentat? Ein neuer Krieg? Eine Katastrophe? Nein, angeblich hat Bundeskanzler Olaf Scholz auf einer privaten Veranstaltung den Berliner Kultursenator Joe Chialo von der CDU einen Hofnarren genannt. Wie konnte etwas so Entsetzliches geschehen?

Es dürften nur sehr wenige Journalisten bei dieser Veranstaltung zugegen gewesen sein. Gleichwohl berichten so viele so intensiv davon, als wären sie bei dem Dialog in der ersten Zuhörerreihe gestanden. Mit jedem weiteren Tag der Berichterstattung schaukelt sich die Entrüstung nach oben. Dann dürfen die üblichen Schlagwörter aus dem Empörungskarteikästchen nicht fehlen: Skandal, Rassismus, ekelhaftes Verhalten, Schock… Natürlich sind die schnellen Forderungen nach einer öffentlichen Entschuldigung von Olaf Scholz und des sofortigen Rücktritts des Bundeskanzlers nicht weit. Eine solche Entgleisung muss schnellstmöglich gesühnt werden. Dabei ist die Rücktrittsforderung sowieso lächerlich, da mit der Bundestagswahl in neun Tagen die Kanzlerschaft von Scholz höchstwahrscheinlich beendet wird.

Womöglich hat sich Scholz tatsächlich in der Wortwahl vergriffen und Dinge gesagt, die Chialo getroffen oder gar beleidigt haben. Dann sollen es die beiden Männer untereinander privat klären, schließlich war es eine private Veranstaltung. Es ist nicht die Aufgabe von Journalisten, über die Medien oder über soziale Kanäle den Richter zu spielen. Wir sind nicht mehr im Mittelalter, in dem Menschen häufig vorschnell an den Pranger gestellt wurden. Nicht jede angebliche sprachliche Entgleisung muss in den Medien breit getreten werden. Wenn die Medien mehr darüber berichten, welcher Politiker wann etwas negativ Interpretierbares gesagt haben könnte, als sich damit zu beschäftigen, was diese Politiker geleistet oder nicht vollbracht haben, sagt dies viel über diese Medien aus.

Wenn wir zudem uns als Leser zurücklehnen und erkennen, dass diese vermeintlichen aufgebauschten Skandälchen nur Teil des Getöses kurz vor einer wichtigen Wahl sind, könnten wir eigentlich lächelnd darüber hinweg sehen. Bedauerlich ist jedoch, dass manche Medien in Zeiten zahlreicher Krisen und Probleme solchen Banalitäten so viel Beachtung schenken. Dann stellt sich die Frage, wie viel Aufmerksamkeit wir Leser solchen Medien noch gewähren sollten.

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