Landauf, landab kann man ohne Unterlass hören oder lesen, die Inflation sei so hoch. Alles sei extrem teuer geworden. Kaum noch jemand könne es sich leisten in den Biergarten, ins Café oder ins Restaurant zu gehen. Für mehrköpfige Familien sei auswärts essen zum unerschwinglichen Luxuserlebnis geworden. Wer im Supermarkt einkaufe wie früher, zahle ein Vielfaches für den Wocheneinkauf. Nur wer Schnäppchen hinterherjage, könne ausreichend für die Familie einkaufen.
Ja, viele Produkte waren zwischenzeitlich sehr teuer geworden, viel teurer als die uns ständig um die Ohren gehauene Inflationsrate vorgab. Manche Lebensmittelhersteller haben in herziger Union mit dem Handel gleich doppelt zugelangt, indem sie den Preis erhöhten und den Inhalt verringerten. Wer den Kilopreis nicht im Auge hat, wird schnell übervorteilt. Einige Konzerne haben sich ungeniert bereichert auf dem Rücken der Verbraucher, die mit jedem Euro rechnen müssen, um bis zum Monatsende durchzuhalten. Das Wort Gierflation traf den Nagel auf den Kopf. Das Gejammer aus der Branche war nur ein Ablenkungsmanöver.
Viele Verbraucher haben jedoch schnell gelernt und lassen überteuerte Produkte häufiger in den Regalen stehen. Die Werbeblätter der Supermärkte sind zur ständigen Lektüre geworden und die strikte Orientierung an den Angeboten der Woche hat ihre Wirkung nicht verfehlt, viele Erzeugnisse sind zum Teil wieder erheblich günstiger geworden. Mancher Kunde steht rätselnd vor den Regalen, wie solche Preisschwankungen innerhalb so kurzer Zeit möglich sind, obwohl die Inflation scheinbar immer noch viel zu hoch ist. Die Discounter untereinander und in den Verhandlungen mit den Lebensmittelkonzernen scheinen den Wettbewerb wieder entdeckt zu haben. Die Verbraucher dürfen sich freuen, wenn sie ihre Strategie durchhalten. Einige können wieder etwas durchatmen.
Auch in der Gastronomie haben einige Wirtsleute kräftig zugelangt und die Preise nach oben gejagt. Mancher will sogar für ein kleines Glas Leitungswasser einen Euro haben. Das fatale an der Gastronomie ist, dass Preiserhöhungen in der Regel nicht mehr zurückgenommen werden, selbst wenn die Lebensmittelpreise wieder sinken. Cafés, Restaurants und Biergärten setzen auf den Gewöhnungseffekt bei den Kunden. Die Besucher jammern vielleicht, nehmen aber meist die Preise hin, nach dem Motto: Was können wir schon machen? Irgendwo muss man ja hin, wenn man sich treffen will. Schon haben die Gastronomen gewonnen, weil eine Abstimmung mit den Füßen hier offensichtlich zu selten stattfindet. Wer bei schönem Wetter durch die Stadt radelt, sieht überall volle Biergärten und Cafés. An den beliebten Eisdielen sind die Schlangen dutzende Meter lang, obwohl in manchen der Preis für die Kugel schon die Zwei-Euro-Marke übersprungen hat. Viele Menschen wollen auch bei den deutlich teurer gewordenen Reisen nicht sparen – zumindest sind die Touristikunternehmen von der Auftragslage beseelt.
Was ist die Erklärung dafür? Nach den langen Monaten der Pandemie und des bitteren Gefühls vom Leben abgeschnitten zu sein, gönnen sich anscheinend deutlich mehr Menschen wieder etwas, als angesichts der Lebenshaltungskosten vermutet werden konnte. Wenn aber nirgends richtig gespart wird, scheint es viel mehr Menschen wesentlich besser zu gesehen, als es oftmals dargestellt wird – oder sie leben auf Pump. Dann kommt die Rechnung und vielleicht das böse Erwachen später. Vielen ist der Genuss etwas wert, daran gibt es nichts auszusetzen. Die ständige mediale Jammerei darüber, dass es allen so schlecht geht, passt da nicht ins Bild.