Waren Sie in den vergangenen Tagen mal auf einem Hauptbahnhof einer größeren Stadt? Nein? Ach so, Sie kamen dort ja gar nicht hin, weil Claus Weselsky mit seiner Lokführergewerkschaft GDL streikt. Das ist großes Pech für Sie, denn Sie haben etwas verpasst. Ein Bahnhof ohne dieses Gehetze und Gerenne, ohne den Lärm der ein- und ausfahrenden Züge, ohne die ständigen komischen Ansagen aus den Lautsprechern hat etwas wunderbar Beruhigendes für uns Menschen. Egal auf welchem Bahnsteig eines Sackbahnhofs man steht, mit einem unverstellten Blick kann man den Gleisen stadtauswärts in die Ferne folgen. Es ist ein berührender Anblick, schöner könnte es kein Maler auf die Leinwand bringen. Musikalisch untermalt mit einem Fado ließe sich dieses Gefühl der Sehnsucht auf den Höhepunkt treiben.
Ein solch beeindruckendes Ambiente stellt sich erst bei einem längeren Streik der Lokführer über mehrere Tage ein, bis die letzten Bahnfahrer gemerkt haben, dass fast kein Zug mehr fährt. Die drei Streiks zum Ende des vergangenen Jahres waren dafür schlicht zu kurz. Ein ausgedehnter Streik hat auch für notorische Bahnfahrer viele Vorteile: Die wenigen Züge sind alle pünktlich – sine tempore, ohne die akademischen sechs Minuten der Bahn. Schließlich kann kein verspäteter vorausfahrender Zug die eigene Fahrt behindern, die verbliebenen Lokführer erreichen pünktlich ihren Führerstand im Zug. Zudem braucht die Deutsche Bahn nur jene Züge einzusetzen, die technisch einwandfrei funktionieren. Zu guter Letzt bekommt der Bahnkonzern die Chance, die Strecken ohne lästige Unterbrechungen zu sanieren.
Deshalb sind wir ziemlich verärgert, dass der Claus und seine Lokführer eingeknickt sind und den längsten Streik der Bahn-Geschichte vorzeitig beenden, um wieder in Verhandlungen mit dem Bahn-Vorstand zu treten. Was für eine Blamage. Wir hielten Claus für einen Helden, weil er das Bundeslied für den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein – alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will – so wunderbar umsetzte. Doch nun stellt sich heraus, dass er nur ein großmäuliger Waschlappen ist.
Sicherlich erinnern Sie sich noch mit Wehmut an die Corona-Pandemie. Die Zeit des Lockdowns war wunderbar. Nie war die Stadt so ruhig, so klar die Luft. Nie erfreuten sich die Menschen so sehr an den einfachen Dingen des Lebens wie ein Spaziergang durch die Natur. Viele entdeckten ungeahnte Fertigkeiten an sich und entwickelten neue Hobbys.
So lange keine neue Pandemie in Sicht ist, können wir uns diese schöne Zeit nur durch beherztes Vorgehen zurückholen. Wir rufen deshalb alle Gewerkschaften der Bahn, die Bauern, alle Gewerkschaften der Fluglinien sowie die Speditionen, Paketdienste und die Taxifahrer dazu auf, ihre Arbeit für mehrere Wochen niederzulegen, um künstlich einen Lockdown zu erzeugen. Endlich bekämen wir die Chance, überall aufzuräumen, die Infrastruktur zu sanieren, Fehlentwicklungen zu korrigieren und alle jene Missstände in diesem heruntergekommenen Land zu beseitigen, über die die Medien tagtäglich berichten. Nebenbei könnten wir unsere Energieprobleme lösen und uns mit einem drastisch sinkenden CO2-Ausstoß an die Spitze der Klimaschützer setzen. Außerdem könnten wir damit endlich unsere Konsumsucht überwinden. Das sind brillante Aussichten, deshalb lasst uns die neue Woche mit einem Generalstreik starten.
Es sieht so aus, als habe Verdi die Glosse gelesen…
Der Autor dieser Zeilen müsste eigentlich bei einer grossen Zeitung schreiben, die brauchen wieder junge Talente. Weiter so!
Der Text ist zwar schön auf die Spitze getrieben. Bei dem Thema verstehe ich aber langsam keinen Spaß mehr. Durch die ständigen Streiks musste ich in vergangenen Monaten schon dreimal meine Reise stornieren oder verschieben. Das nervt!