Seit Jahren beklagen viele Arbeitgeber einen Fachkräftemangel. Vor allem der Nachwuchs sei ein Problem, lautet der Tenor: keine Disziplin, kein Gehorsam, keine Pünktlichkeit, kein Benehmen. Darüber hinaus können die Jungs und Mädels nicht richtig schreiben und lesen, aber vor allem nicht rechnen. Was sollen die geplagten Arbeitgeber mit solch dummen Auszubildenden anfangen?
Da sich herausgestellt hat, dass auch viele fertig ausgebildete Menschen nicht richtig schreiben, lesen und rechnen können, haben sich die Lebensmittelhersteller in Kooperation mit dem Handel dazu entschlossen, gegen diese elementare Schwächen vorzugehen. Sie haben die günstige Zeit der Inflation ergriffen, um ihren Plan umzusetzen. Schließlich müssen viele Verbraucher bei regelmäßigen Preissteigerungen ständig rechnen und damit rechnen, dass ihnen am Monatsende nichts mehr übrigbleibt.
Damit das Rechnen leicht von der Hand geht, heißt es üben, üben, üben: das kleine und große Einmaleins rauf und runter und natürlich das Prozentrechnen. Das ist hilfreich, weil die Inflationsrate als Prozentsatz angegeben und wir durch die tägliche Sensationsberichterstattung wissen, dass diese Rate derzeit bei knapp acht Prozent liegt. Das ist der auf das Jahr hochgerechnete Wert. Manche Hersteller der Lebensmittelindustrie scheinen hier auch noch Nachhilfebedarf zu haben, denn sie glauben, die Teuerungsrate beziehe sich auf den Monat. Wie sonst lässt sich erklären, wenn der Preis für einen Liter Milch von einem Tag auf den anderen von 0,92 auf 1,09 Euro steigt – eine Sprung von 18,5 Prozent.
Damit das Üben beim Einkaufen besser klappt, verändern Lebensmittelbranche und Handel ständig die Packungsgrößen. Was ein Kilo war, sind jetzt 900 Gramm. Also muss der Kunde lernen, auf vergleichbare Größen umzurechnen. Doch die Branche will die Kunden richtig fordern, deshalb gibt sie nun krumme Größen an: Plötzlich hat die Packung 350 oder 190 Gramm Inhalt. Selbst gute Kopfrechner brauchen hierfür einen Moment länger. Der Handel ist dazu verpflichtet, die Preise auf 100 bzw. 1000 Gramm umzurechnen und dies am Regal zu vermerken. Aber der Lerneffekt verpuffte, wenn diese Angabe auf den ersten Blick erkennbar wäre. Damit die Kunden beim Rechnen nicht so leicht schummeln können, werden die korrekten Lösungen sehr klein in die Ecke unten rechts auf das Schild geschrieben. Wer keine Lupe dabei hat, braucht den Taschenrechner.
Mancher wird sich fragen, ob die häufigen Änderungen der Verpackungsgrößen nicht erhebliche Mehrkosten in der Produktion bedeuten. Für die Branche spielt dies augenscheinlich ebenso keine Rolle, wie der Transport von Produkten quer durch Europa zur Weiterverarbeitung oder das höhere Aufkommen von Müll. Im Zweifel schlägt man diese Kosten einfach auf das Produkt auf. Der dumme Verbraucher zahlt es.
Die vermeintlich cleveren Akteure der Branche belassen die Verpackungsgröße, verkleinern den Inhalt und pumpen dafür ein bisschen mehr Luft rein, in der Hoffnung, der Kunde merkt es nicht. Es gibt Akteure, die versuchen es mit einer besonders intelligenten Strategie. Dazu gehört die Schweizer Schokoladenmarke Milka, die zum US-Konzern Mondeléz International gehört. Seit Jahrzehnten wissen schon die Kinder, eine Tafel Schokolade von Milka – auch bei den meisten Konkurrenten – wiegt 100 Gramm. Das ist Schokoladengrundgesetz. Doch nun sind die Marketinggenies des Unternehmens auf die Idee gekommen, in Verbindung mit einer scheinbar radikalen Dumpingpreisaktion, die Tafeln auf 90 oder 85 Gramm zu verkleinern…
Wir können vielleicht nicht besonders gut rechnen und stellen uns manchmal etwas dumm an, aber wir sind nicht blöd und lassen uns schon gar nicht gern für dumm verkaufen.
Viel Wahres mit viel Ironie. Wir sprechen immer von der Abhängigkeit von den Energiekonzernen, dabei haben wir im Handel ganz ähnliche Strukturen…allen Sonderangeboten zum Trotz.