Es ist vergnüglich, jeden Tag zu lesen und zu hören, wie sich einige Medien an Bundeskanzler Olaf Scholz abarbeiten. Nachdem diese einen erfolgreichen Beitrag zum Platzen der Ampel-Koalition geleistet haben, benötigen sie nun eine neue Erfolgsmeldung. Deshalb berichten sie über jede Stimme, die sich für einen Rückzug Scholz‘ aussprechen, um den Verteidigungsminister Boris Pistorius zum Kanzlerkandidaten zu küren. Selbst Regional- und Lokalpolitiker, die kaum jemand kennt, finden so plötzlich den Weg in die überregionalen Medien. Stimmen, die sich für Olaf Scholz stark machen, finden weniger Beachtung, obwohl sich die Parteispitze klar für Scholz ausspricht.

Die Basis des ständigen Eindreschens auf Scholz sind dessen schlechte Umfragewerte, während jene von Pistorius spitze sind. Das ist natürlich ein glasklarer Kompetenzbeweis für das Amt des Bundeskanzlers. Wer in Meinungsfragen, die höchsten Beliebtheitswerte vorweisen kann, wird auf jeden Fall Bundeskanzler, oder? Vielleicht erinnert sich noch jemand an Martin Schulz, der 2017 Kanzlerkandidat der SPD war. Er war nicht nur mit 100 Prozent Zustimmung seiner Partei zum Kanzlerkandidaten ernannt worden, er war in den Umfragewerten im Februar 2017 deutlich vor Kanzlerin Angela Merkel. Trotzdem holte er das bis dahin schlechteste Ergebnis bei einer Bundestagswahl für die SPD. Dabei wollten doch angeblich so viele Menschen Merkel loshaben.

Man kann sicherlich zu dem Schluss kommen, dass die Kanzlerschaft von Scholz trotz mancher Erfolge nicht herausragend war. Man darf auch bemängeln, dass sein zögerlicher Führungsstil, seine Ausstrahlung und sein Kommunikationsstil ihn nicht zum Liebling der Menschen und der Medien gemacht haben. Währenddessen übernahm Pistorius vor eineinhalb Jahren ein heruntergewirtschaftetes, aber aufgrund des Russlandkriegs sehr bedeutungsvoll gewordenes Verteidigungsministerium. Er konnte also leicht in einem Amt punkten, das von seiner ungeeigneten Vorgängerin Christine Lambrecht fast der Lächerlichkeit preisgegeben worden war.  

Verteidigungsminister Pistorius bringt ansonsten – außer im Amt des Innenministers von Niedersachsen – keine weiteren Erfahrungen auf höchster politischer Ebene mit. Scholz hingegen hat das Arbeits- sowie das Finanzministerium geführt und ist noch Bundeskanzler. Letztlich müssten die SPD-Mitglieder entscheiden: Ist Beliebtheit oder Erfahrung wichtiger?

Wenn wir die Entwicklung der vergangenen Wochen, die oben genannten Erkenntnisse und die Zustimmungswerte der SPD betrachten, können die SPD-Mitglieder eigentlich ins Rennen um das Bundeskanzleramt schicken, wen sie wollen. Die SPD wird mit großer Wahrscheinlichkeit nicht den nächsten Bundeskanzler stellen. 2021 war für Scholz eine günstige politische Konstellation, diese wird sich 2025 weder für ihn noch für seine Partei wiederholen.

3 Kommentare

  1. Mich treibt der zweitletzte Satz ein wenig um … wer darf denn nach dieser Schlussfolgerung noch einen oder eine Kanzlerkandidaten/ -Kandidatin aufstellen?

    1. Author

      Natürlich darf jede Partei einen Kanzlerkandidaten aufstellen. Die Diskussion über den richtigen Kanzlerkandidaten bei der SPD ändert aber wohl kaum etwas an den Erfolgschancen. Übrigens hat Pistorius um 19.52 Uhr (Eilmeldung Tagesschau) eine Kandidatur abgelehnt, damit ist die Entscheidung gefallen.

  2. Das gleiche dürfte dann auch auf Robert Habeck zutreffen.

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