Als die Menschen noch in Höhlen hausten, konnten sie eher nichts mit dem Wort Kreativität anfangen, geschweige denn es buchstabieren. Unbewusst waren sie aber bestimmt sehr kreativ, wenn es darum ging, Beute zu erlegen. Später, als sich die Menschen mehr Zeit für das Denken nahmen, glaubten sie, dass bei der Schaffung von neuen Dingen irgendein Gott seine Finger im Spiel hatte. Genau genommen haben sich die meisten Menschen nie darum geschert, ob sie kreativ waren, oder ob das, was sie taten, so bezeichnet werden könnte. In der Regel müssen sie bis heute, besonders bei finanziell oder materiell begrenzten Mitteln, pragmatische Lösungen finden. YouTube liefert Tausende Belege für clevere oder dämliche Kreativität.
Inzwischen hat sich die Ansicht durchgesetzt, dass (fast) jeder Mensch kreativ sein kann, nicht nur Künstler, Autoren, Designer oder Komponisten, etc. In der heutigen Arbeitswelt gehört Kreativität meist zu den Grundanforderungen, auch wenn manche Menschen ihre kreative Meisterschaft nur darin erreichen, bei größter Faulheit beschäftigt auszusehen. Arbeitgeber sind sehr fantasievoll darin, die langweiligsten Aufgaben mit tollen englischen Berufsbezeichnungen attraktiv erscheinen zu lassen.
Zeitgenossen mit ausgeprägter krimineller Energie beweisen bisweilen ebenfalls erstaunliche Kreativität, um ihren Mitmenschen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Die Lebensmittelindustrie steht dem kaum nach. Sie scheint über viele kreative Talente zu verfügen, die tolle Begriffe erfinden, welche den wahren Inhalt verschleiern oder den Eindruck von gesunden Produkten vorgaukeln. So erreicht zum Beispiel die Liste der Inhaltsstoffe, die nichts anderes als Zucker sind, eine beachtliche Länge. Sehr einfallsreich ist die Branche ebenfalls bei ihren Versuchen, Preiserhöhungen geschickt zu verstecken. Geringerer Inhalt bei gleichem Preis oder mehr Luft bei gleicher Packungsgröße sind die inzwischen weit verbreiteten Methoden. Clever kombiniert mit einer Rabattaktion fällt die Verbraucherverarschung kaum auf.
Es gibt jedoch immer wieder neue herausragende Kreative in der Branche, die alles bisher Gesehene in den Schatten stellen. Ein preisverdächtiges Beispiel sind die Schwartauer Werke, die zur Hero Gruppe gehören. Der Hersteller der Schwartau Extra Konfitüre nutzt geschickt die gestiegene Nachfrage zu gesunden – besser: zu weniger ungesunden – Produkten. Verbunden mit einem Preisabschlag von 37 Prozent bietet Schwartau diese Woche seinen Brotaufstrich an. Dieser Nachlass gilt auch für die Version mit 30 Prozent weniger Zucker. Laut Auszeichnung gilt der gleiche Preis für beide Varianten. Nach Schwartau-Rechnung entsprechen 30 Prozent weniger Zucker 40 Gramm, deshalb sind im Glas mit der zuckerreduzierten Konfitüre nur noch 300 Gramm. Auf das Kilo umgerechnet kostet also die zuckerreduzierte Konfitüre 66 Cent oder 13 Prozent mehr. Besser kann man den Spruch „Weniger ist mehr“ nicht umsetzen: Der Verbraucher zahlt mehr Geld für weniger vom – derzeit – so teuren Zucker. Glückwunsch zu dieser kreativen Umsatzvermehrung.