Möchte man einen Menschen von seiner besten Seite kennenlernen, sollte man auf dessen Beerdigung gehen. Zugegeben, in diesem Fall kann man sich kein persönliches Bild mehr von ihm machen. Wer jedoch aufmerksam zuhört, wird viel Interessantes, Überraschendes und Positives, aber so gut wie nie, Negatives vernehmen. Selbst wenn man glaubte, mit einem Menschen eng befreundet gewesen zu sein, kann der Tag der Bestattung einer Offenbarung gleichkommen. So viele Menschen, die man selten bis nie in Verbindung mit dem Verstorbenen wahrgenommen hatte, erzählen von ihrer innigen Zuneigung zu jenem Verblichenen und zerfließen am Grab in tränenreichem Kummer. An manchen Trauergästen sind erfolgreiche Filmschauspieler verloren gegangen.
Heuchelei und Unaufrichtigkeit sind enge Geschwister. Am Häufigsten findet man sie neben Beerdigungen in Zeugnissen. Einem Toten wie einem scheidenden Arbeitnehmer soll man schließlich nichts Schlechtes nachsagen. Warum eigentlich nicht? Wer schlecht war im Denken und im Handeln, muss nicht besser geredet und geschrieben werden als er war. Dies gilt allerdings umgekehrt auch für den Arbeitgeber. Allein der Versuch, dann doch in guten Worten, das Mittelmäßige oder das Schlechte wiederzugeben, ist die künstlerisch perfektionierte Heuchelei. Eigentlich sind viele Zeugnisse nicht das Papier wert auf dem sie gedruckt sind. Hier passt dann aber der so verwendete Satz: Die lügen wie gedruckt.
Unter Profifußballern finden sich ebenfalls viele Meister der Heuchelei. Jene Vertreter ihres Sports, die ihren Vereinen auch den größten finanziellen Verlockungen zum Trotz über viele Jahre treu bleiben, sind eine Rarität. Üblich ist doch für die meisten Kicker, ihren Körper immer wieder an die mehrbietenden Clubs zu verkaufen. Sie können nicht anders, sie werden quasi dazu gezwungen, sich der Geldgier hinzugeben. Einige von ihnen leiden daran schwer. Woche für Woche können die Zuschauer der Fußball-Bundesligen diese Dramen miterleben: Wenn Fußballer gegen ihren Ex-Verein ein Tor schießen, können und dürfen sie nicht jubeln, schließlich schaden sie damit ja ihrem Herzensverein. Den Leidenden mag man dann gerne zurufen, es tut nur beim ersten Mal wirklich weh. Wer häufig genug wechselt, stumpft automatisch ab, schließlich spielt man irgendwann nur noch gegen Ex-Vereine.