Die etwas älteren unter den eingefleischten Fußballfans werden sich an den 24. März 1973 erinnern. Ein denkwürdiger Tag, an dem begann, aus einem einfachen, harmlosen Spiel ein gigantisches Geschäft zu werden. Eintracht Braunschweig lief gegen Schalke 04 mit Trikots auf, auf denen das Logo des Likörherstellers Jägermeister prangte. Was sich damals noch als Eklat oder Revolution in den Schlagzeilen wiederfand, ist heute bis in die tiefen Klassen in allen Sportarten eine Selbstverständlichkeit und trägt bei vielen Vereinen mehr oder weniger zur Finanzierung des Etats bei.
Der Ruhm, das Trikotsponsoring etabliert zu haben, gehört Jägermeister. Das Unternehmen aus Wolfenbüttel, das sein Kräutergetränk gerne als das Partygetränk vermarktet, gefällt sich in der Rolle des Vorreiters. Es hat nun mithilfe einer großen Marketingkampagne das Thema Trinkgeld entdeckt. So finden sich an Bushaltestellen große Plakate mit der herzzerreißenden Schlagzeile: „Jede 2. Taxifahrt endet ohne Trinkgeld.*“ Im Kleingedruckten beim Sternchen erfährt der faszinierte Leser, dass das Unternehmen in einer Befragung von 68 Taxifahrern zum dem Ergebnis kam, wonach acht Prozent der Taxifahrer sehr oft Trinkgeld und 38 Prozent oft Trinkgeld bekommen. Dieses Ergebnis einer streng wissenschaftlichen Untersuchung mit einer repräsentativen Umfrage ist beeindruckend.
Die armen Taxifahrer, die bei jedem Fahrgast sofort aus dem Auto springen, um diesem die Autotüre zu öffnen und hinter ihm zu schließen, ihm das Gepäck aus der Hand nehmen und es in den Kofferraum legen, ohne etwas extra dafür zu verlangen. Die begeisterten Taxifahrer, die sich in Freundlichkeit und Höflichkeit regelrecht überschlagen und sogar auf Anhieb das gewünschte Ziel verstehen, alle diese Vorbilder in Dienstleistung werden von ihren Gästen so schäbig behandelt. Es ist kaum zu glauben.
Doch was will Jägermeister mit dieser Studie? Die Webseite gibt Aufschluss. Selbstlos sorgt sich das Unternehmen um das Nachtleben und die Menschen, die in dieser Zeit arbeiten. Ohne diese Perlen der Gesellschaft gäbe es kein Nachtleben, in dem wir uns alle amüsieren können. Es ist rührend, wie sich der Likörhersteller darum sorgt, die Menschen könnten zu wenig verdienen. Deshalb sollen wir alle mit vielen Euros Trinkgeld diesen Menschen danke sagen, weil sie uns so gut umsorgen. Doch die geizigen Partygänger wollen das in der Mehrheit nicht. Die Antwort liefert Jägermeister sogar selbst: 65 Prozent der Deutschen finden, Trinkgeld muss man sich verdienen. Tja, warum soll man unfreundliches, teilweise herablassendes Verhalten auch noch honorieren oder Leistungen entgelten, die nicht erbracht werden.
Liebe Jägermeister-Leute vielleicht solltet ihr eure Getränke günstiger anbieten. Ihr könntet auch mithelfen, die Arbeitsbedingungen dieser Menschen zu verbessern und deren Löhne zu erhöhen. Vielleicht solltet ihr auch mal daran denken, wie viele Gäste sich überlegen, wie oft sie sich unter den jetzigen Rahmenbedingungen überhaupt noch ein Nachtleben leisten können und sich ein solches Getränk vom Mund absparen müssen. Doch für euch ist bestimmt nur wichtig, dass sich möglichst viele Gäste jetzt schnell mit dem Gesöff die Hucke vollsaufen. Schließlich braucht ihr nun mehr Umsatz, um diese Wahnsinnsstudie zu refinanzieren. Im Rausch zahlen die Leute dann bestimmt ein paar Euro mehr.
Na, darauf trinken wir doch gleich einen. Prost!