Die pandemischen Olympischen Fernseh- und Internetspiele in der Tokio-Blase sind beendet. Wir waren überall präsent. Keine Sportart blieb uns verborgen, was nicht live zu sehen war, genossen wir relive. Wer genügend Ausdauer und Zeit hatte, konnte 16 Tage Tag und Nacht durchglotzen und die anderen Millionen Zuschauer auf Sicherheitsabstand lassen.
Schön war zu sehen, dass die Globalisierung im Sport hervorragend funktioniert: So viele Sportler aus aller Welt wechseln ihre Nationalität, um ihren neuen Heimatländern in der wichtigsten Statistik der Welt zu etwas Glanz zu verhelfen. Zum Glück haben die immer guten Amerikaner, die immer bösen Chinesen am letzten Wettkampftag in diesem Medaillenspiegel noch überholt und Platz eins eingenommen. Unsere britischen Vorzeigeeuropäer ließen sogar die noch böseren Russen hinter sich. Dass unsere niederländischen Nachbarn vor uns liegen, schmerzt allerdings sehr. Dafür revanchieren wir uns irgendwann bei einer Fußball-EM oder -WM, sofern wir mal wieder eine erfolgreiche Mannschaft haben.
Wir sind überwältigt von den vielen unglaublichen Leistungen der bis zur letzten Faser austrainierten Sportler. Sie erzielten Bestwerte und Fabelweltrekorde dank neuer Technologien in der Ausrüstung und noch viel besserer Methoden in allen Bereichen. Es sind zweifellos – wie immer – Rekorde für die Ewigkeit. Diese dauert bedauerlicherweise gar nicht mehr lange an, weil Wissenschaftler heute forschen und forschen, bis sie auch die ausgeklügelten, modernen Dopingsubstanzen im abgezapften Blut von Athleten nachweisen können. Wir dürfen uns vielleicht in ein paar Monaten oder in ein paar Jahren nochmals im Stillen über neue, kaum beachtete Medaillengewinner freuen, während andere mit ihrem eingeheimsten Ruhm fast unbemerkt durch die Hintertür verschwinden.
Allmählich müssen wir die quadratischen Augen in eine ovale Form zurückzubringen. Die Tränen sind getrocknet, die emotionalen Hochs und Tiefs pendeln sich ein. Wir lassen die besten, nein teuersten Spiele aller Zeiten und den unschuldigen, reinen Sport hinter uns.
Endlich haben wir Zeit, uns den wirklichen wichtigen Fragen der Politik zu widmen. Wir stürzen uns in einen spannenden Bundestagswahlkampf. Wir gehen verschiedenen Plagiatsvorwürfen gegen Spitzenkandidaten auf die Spur, diskutieren intensiv über aufgehübschte Lebensläufe und ausgewürfelte Klausurnoten. Wir sind erfreut, wenn Spitzenkandidaten beim Besuch von Hochwassergebieten guter Stimmung sind.
Im Herbst werden wir dann darüber nachdenken, was wir gegen den Klimawandel und die vierte Coronawelle tun könnten. Wir überlegen uns auch, mit welchen Abgaben Bürger dazu beitragen sollten, die Staatsschulden zu reduzieren. Wir haben uns noch viel mehr vorgenommen, wir knien uns richtig rein … direkt nach der Bundestagswahl. Versprochen!
O ja – und vor der Wahl ist nach der Wahl… – und „versprochen ist versprochen und wird nicht gebrochen“…