Die Inflationsrate ist für Otto und Gertrud Normalverbraucher eine schwierige Kennzahl. Was heißt dies für sie, wenn im September diese Rate auf 10 Prozent geklettert ist? Sie müssten quasi alle Güter und Dienstleistungen des Warenkorbs kennen, der zur Berechnung der Inflation verwendet wird. Dann müssten sie vergleichen, ob sie in dieser Zeit die gleichen Güter und Dienstleistungen konsumiert haben. Schließlich wüssten sie, inwieweit ihre persönliche mit offiziellen Inflationsrate übereinstimmt und hätten einen großen Wow-Effekt.

Solche Dinge machen nur Leute, die außer Statistiken rechnen und fälschen keine anderen Hobbys haben. Selbst wenn man es von einem praktischen Standpunkt betrachtet, fallen den Konsumenten die Unterschiede nur auf, wenn sie Woche für Woche bzw. Monat für Monat die gleichen Waren einkauften und die gleichen Dienstleistungen in Anspruch nähmen. Dazu wäre es natürlich erforderlich, das Haushaltsbuch vom 1. Januar bis 31. Dezember penibel zu führen. Dann und nur dann, würde der Haushalt am Ende des Jahres seine persönliche Inflationsrate ausrechnen können. Kennen Sie vielleicht jemanden, der dies genauso macht? Hinweise sind willkommen.

Da wir uns wohl einig sind, dass dies wie die Stecknadelsuche im Heuhaufen abläuft, verwundert es doch immer wieder, mit welchem Eifer die Medien über die Inflationsraten berichten. Wir erfahren über die erste Schätzung des Statistischen Bundesamts, dann folgt die Bestätigung der Schätzung auf Bundesebene. Zudem werden wir noch mit den Daten aus den Bundesländern und in der Europäischen Union versorgt. Schließlich erfahren wir jeden Monat aufs Neue, die hohen Energiepreise seien die Hauptursache für die weiter steigende Inflationsrate. Das hätten wir ohne die detaillierte Berichterstattung sicher nicht gemerkt.

Wir wollen nicht unfair sein, manchmal finden sich ja tatsächlich interessante Aspekte in der Berichterstattung. So erfahren wir aus den Medien, in Bayern betrug die Inflationsrate im September sogar 10,8 Prozent. Dafür kann es nur eine einzige Erklärung geben: Die seit 17. September laufende Wiesn (für Auswärtige: das Oktoberfest) in München ist daran schuld. Die Preise für eine Mass Bier (für Auswärtige: offiziell ein Liter, inoffiziell grundsätzlich weniger) oder ein halbes Henderl, kennen selbst solche Menschen, die noch nie auf dem schönsten, größten, tollsten, wunderbarsten und wichtigsten Volksbesäufnis des Universums waren. In der gesamten Republik wird nun sogar darüber diskutiert, wie eine halbe Bio-Ente mit zwei Knödeln und einer Portion Blaukraut 67,40 Euro kosten kann. Die Statistikfreunde dürfen nun gerne ausrechnen, wie der Verzehr dieses Gerichts ihre monatliche Inflationsrate beeinflussen würde

Die Wiesn ist eben nichts für Entenklemmer bzw. Geizige und Sparfüchse. Wer die grandiosen Konzerte mit traditionellem, volkstümlichem Liedgut genießen und mitgrölen will, bis die Stimme versagt. Wer nach dem dritten Bier jeden Banknachbarn und jede Banknachbarin abknutschen will, sofern diese nicht schon hintenübergekippt sind. Wer gute Chancen auf eine deftige Schlägerei unter Zuhilfenahme der Bierkrüge und anschließendem Besuch der Wiesn Ambulanz haben möchte und schließlich noch Lust auf ein Filmriss hat, der muss für ein solch einzigartiges Event ein bisschen was ansparen. Dafür erhält der eine oder die andere Glückliche noch das Coronavirus geschenkt. Das hat den Vorteil, in der Quarantäne oder bei längerem Krankenhausaufenthalt, das Loch in der Haushaltskasse wieder schließen zu können. Eventuell braucht man eine Weile nicht zur Arbeit zu gehen und kann sich daheim in schönen Erinnerungen schwelgend vom Wiesn-Besuch erholen.

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