Wer sich mit Volkswirtschaftslehre beschäftigt, der begegnet irgendwann Hermann Heinrich Gossen. Der deutsche Ökonom hat uns zwei Gesetze hinterlassen, die seinen Namen tragen. Besonders sein erstes Gesetz vom abnehmenden Grenznutzen betrifft uns öfter, als es den meisten bewusst ist. Angenommen, Sie haben Ihren Lieblingskuchen gebacken und essen im Heißhunger schon das erste Stück, wenn der Kuchen noch warm ist. Ihre Gier treibt Sie dazu, sich ein weiteres Stück auf den Teller zu legen. Doch schnell merken Sie, dass Sie satt werden und Sie ahnen, wie jedes weitere Stück den Genuss reduzieren würde, bis der Kuchen Ihnen zum Hals und zu den Ohren rauskäme.
Uns ist nicht bekannt, ob Gianni Vincenzo Infantino schon einmal Hermann Heinrich Gossen begegnet ist – auf keinen Fall persönlich. Der Schweizer Jurist kennt sich jedoch hervorragend mit dem Teil der Wirtschaftslehre aus, die das Füllen von Kassen mit Milliarden Franken, Dollar und Euro behandelt. Als Präsident des Weltfußballverbands FIFA ist er ein Spezialist dafür, selbst skrupellosen Herrschern viel Geld aus den Taschen zu ziehen, nur weil diese auch einmal eine Fußball-Weltmeisterschaft ausrichten wollen. Interessanterweise greift das erste Gossensche Gesetz beim Geld nicht, hier scheint niemals eine Sättigung einzutreten.
Infantino möchte den wissenschaftlichen Beweis antreten, dass das erste Gossensche Gesetz ebenso wenig für Fußball gilt. Deshalb spielen bei der nächsten Fußball-WM 2026 in Kanada, USA und Mexiko schon 48 Nationalmannschaften um den Titel – in Katar waren es 32. Sollten die großen Fußballfunktionäre dieser Welt 2031 Gianni Infantino aus tiefster Dankbarkeit und größter finanzieller Verbundenheit erneut zum Präsidenten wählen, wird es vermutlich auf Lebenszeit sein. Dafür wird er ihnen wahrscheinlich mehr und größere Fußball-Turniere schenken. Eine alle vier Jahr stattfindende Klub-WM mit 32 Teams ist schon ab 2025 geplant.
Statt mühsamer Qualifikationen könnte Infantino alle 193 Staaten der Vereinten Nationen bei einem Turnier gegen einander antreten lassen. Vermutlich werden es ein paar Teams weniger sein, weil nicht jede Nation eine Fußballmannschaft hat. Nichtsdestotrotz, der wahre Weltmeister wird doch erst ermittelt, wenn jeder gegen jeden spielt. Dies hätte auch für die deutsche Nationalmannschaft den Vorteil, sie träfe mal wieder auf Mannschaften, gegen die sie viele Tore erzielen könnte. Schließlich gilt es den 110 Jahre alten höchsten Sieg (16:0 gegen Russland von 1912) zu toppen.
Für das Fernsehen wäre ein so großes Turnier ein Fest. Aus Katar konnten die Fernsehstationen in der Vorrunde nur vier Spiele pro Tag übertragen. Die langen Zwischenzeiten mussten sie mit ausgedehnten Analysen ehemaliger Fußball-Profis überbrücken. Außerdem gab es Tage, an denen kein Fußball stattfand – was für eine Zumutung. Mit der Infantinoschen Fußballvermehrung, könnten die Sender über Wochen jeden Tag 24 Stunden lang Fußball zeigen. Der Bedarf an Fußballexperten wüchse rasant, um uns zum Beispiel die Details von Spitzenspielen wie Nauru gegen Kiribati zu erläutern. Aus informierten Kreisen wissen wir, China und Saudi-Arabien stünden gerne als Veranstalter für ein solches Turnier zu Verfügung. Durchhaltungsfähige Spieler – auch mit gutem Namen – stünden dank nicht nachweisbarer Substanzen und in Bälde dank moderner Klon-Techniken in ausreichender Zahl zur Verfügung.
Sollten Sie jetzt zu dem Schluss kommen, solche fußballinflationären Pläne seien die Folge eines krankhaften Infantilismus, müssen wir dies trotz der namentliche Nähe zum Fußballpräsidenten verneinen. Hier geht es schlicht um das wichtigste dieser Welt: Geld. Geld ist zugleich der zählbare Beleg für die niemals erreichbare Sättigung beim Fußball. Gossen könnte demnach seine Gesetze nur noch mit dem Hinweis „Ausnahmen bestätigen die Regel“ aufrechterhalten.