Der Herbst ist die Zeit der Stadtmarathons. Jede Großstadt, die etwas auf sich hält, veranstaltet ein Rennen über 42,195 Kilometer mit oft mehreren 10 000 Teilnehmern. Die Masse der Läufer sind Hobbyläufer, die einmal in ihrem Leben solch eine Strecke bis zum Ende durchlaufen wollen. Daneben gibt es die vielen ambitionierten Läufer, die sich über mehrere Monate trainingsfleißig und diszipliniert neben ihrer Arbeit auf das Rennen vorbereiten, um die Strecke unter 4, 3:30 oder gar unter 3 Stunden zu laufen. Wer eine Zwei als Endzeit vorne stehen haben will, trainiert in der Regel fünf- bis sechsmal die Woche mit einem Umfang von über 100 Kilometer. Das sind bemerkenswerte Leistungen.
Weit darüber schweben die Vollzeit-Eliteläufer. Umfänge von bis zu 300 Kilometern die Woche, aufgeteilt in 10 bis 12 Trainingseinheiten sind die Regel. Das ist die Ebene, auf der sich das große Geld verdienen lässt über Preisgelder, Antrittsgagen sowie über hochdotierte Sponsoren- und Ausrüsterverträge. Die Besten der Besten können über Streckenbestzeiten sowie über Rekorde bis zur Weltbestzeit noch fünf- bis sechsstellige Summen an Prämien extra verdienen. Das lockt vor allem eine schier endlose Zahl an Läufern aus den Hochländern Kenia und Äthiopien sowie einigen weiteren afrikanischen Ländern an. Siegt bei den hochkarätigen Stadtmarathons ein Nicht-Afrikaner sorgt dies für Aufsehen.
Die Bestzeiten sind in den vergangenen Jahren extrem rasch verbessert worden. War vor einigen Jahren ein Marathon-Durchschnitt von drei Minuten pro Kilometer noch die Ausnahme, lässt sich mit diesem Tempo heute nur selten ein Marathon gewinnen. Die besten Männer – die Zahl steigt – nähern sich der Zwei-Stunden-Marke an. Es scheint nicht mehr lange zu dauern, wenn diese – lange als nicht unterbietbar geltende – Siegerzeit in einem regulären Marathon unterboten wird. Die besten Frauen laufen inzwischen Zeiten, die die meisten Männer selbst bei professionellem Training nicht erreichen.
Leistungsorientierte Freizeitläufer fragen sich, wie Leistungsexplosionen wie die der Äthiopierin Tigist Assefa möglich sind. Sie verbesserte in Berlin vor wenigen Tagen den Weltrekord um mehr als zwei Minuten. Ähnliches gilt für den Triumph des 23-jährigen Kenianers Kelvin Kiptum, der am Sonntag in Chicago in 2:00:35 Stunden einen Weltrekord lief und darauf angeblich nicht vorbereitet war. Zudem gehen die meisten Experten immer noch davon aus, dass das beste Langstreckenalter erst Ende der 20er Jahre liegt.
Früher wurden die guten Ergebnisse der Afrikaner mit deren Genetik, deren Herkunft aus den Hochebenen über 2000 Meter Höhe (die die Sauerstoffaufnahme auf Seehöhe erheblich verbessert) sowie mit der unglaublichen Zahl an Talenten erklärt. Allerdings haben die vergangenen Jahre auch gezeigt, dass diese Leistungen häufig nicht nur mit natürlichen Kräften zustande gekommen sind. Zahlreiche Läufer und Läuferinnen vor allem aus Kenia wurden des Dopings überführt oder stehen unter Verdacht. Viele Siegernamen verschwinden so schnell, wie sie gekommen sind. Verschiedenen Quellen zufolge steht Kenia unter den Top Drei in der Zahl der überführten Dopingsünder. Während Russland als Nummer eins von Leichtathletik-Wettkämpfen ausgeschlossen wurde, wird Kenia noch immer zu nachsichtig behandelt. Die Erfolge des Landes bei der Dopingbekämpfung jedenfalls sind kaum sichtbar.
Ein wesentlicher Faktor der Leistungssprünge ist jedoch die Entwicklung der Laufschuhe mit dem Katapulteffekt. Vereinfacht gesagt, ermöglichen die Materialien, dass die Läufer bei jedem Schritt Energie gewinnen, die den Vortrieb verbessern und sie schneller macht. Bei vielen Läufern kann diese Technologie eine Verbesserung von mehreren Minuten bringen, wie sich anhand der Bestzeitlisten gut nachvollziehen lässt. Die Sportartikelkonzerne liefern sich einen Wettkampf um die beste Technologie und das Ende der Entwicklung ist noch nicht absehbar.
Der internationale Leichtathletik-Verband sollte diesem Treiben Einhalt gebieten. Keiner erwartet, dass wir zum Barfußlauf zurückkehren, doch die neue Technologie sorgt für Wettbewerbsverzerrungen, weil sie nicht jedem zur Verfügung steht. Mit natürlichem Laufen hat dies ebenfalls wenig zu tun. Als die Schwimmer vor allem zwischen 2006 und 2009 nur noch Ganzkörperanzüge trugen, die die Hai-Haut imitierten, purzelten die Schwimm-Weltrekorde in Serie. Von einer Materialschlacht war die Rede, bis der Schwimm-Weltverband diese Anzüge 2010 verbot. Dass nur noch wenige Schwimmrekorde dieser Zeit noch aktuell sind, wirft wiederum andere Fragen auf…
Die Weiterentwicklung der Technologie gehört zu den wesentlichen Elementen der meisten Sportarten, sonst würden wir wohl immer noch mit Rädern ohne Gangschaltung die Tour de France fahren. Befremdlich erscheint mir eher die Sehnsucht der Medien nach ständig neuen Rekoren und ihre Berichterstattung darüber. Außerdem müsste man noch fragen, ob wirklich so viel Geld in den Sport gepumpt werden muss.
Das Argument der Weiterentwicklung der Technologie sehe ich grundsätzlich auch so. Allerdings muss es in einem gesunden, fairen Rahmen bleiben. In manchen Sportarten können sich nur die reichen Verbände die beste Technologie leisten, dann werden die Wettkämpfe um Medaillen ein Wettbewerb der Reichen.
Eine Ergänzung noch zum Doping. Die ARD meldet, der kenianische Marathonläufer Titus Ekiru ist wegen Dopings für 10 Jahre gesperrt worden. Er hat 2021 die Marathonläufe in Mailand und Abu Dhabi gewonnen.