In jeder Beziehung gibt es hochgefährliche Fragen. Das gilt besonders für jene, die überfallartig aus der Stille kommen. „Schatz, was denkst Du gerade?“ ist ein gern gehörter Klassiker. In Beziehungen gestählte Männer – die Frage wird zu 99,9 Prozent von Frauen gestellt – erkennen sofort den Kontext der Frage und hören dabei heraus, mit wie vielen „A“s das Wort Schatz ausgesprochen wurde. Sie sind darauf vorbereitet und haben für jede Betonungsvariante eine passende Geschichte parat. Sie wissen auch, dass sie auf diese Frage niemals mit „Nichts“ antworten dürfen, selbst wenn die Betonung absolut neutral ist. Jeder normale Mensch kann nicht nichts denken, außer er hat es in tausenden Stunden der Meditation geübt. Da die in Beziehungen gestählte Frau weiß, wie ernst Männer die Meditation nehmen, erwartet sie eine gute, bedachte Antwort.
Genau genommen, denken wir alle ständig über irgendetwas nach. Es ist ja auch zu schön, manchmal seinem Gehirn freien Lauf zu lassen und sich an fantastischen oder grotesken Gedanken zu erfreuen – besonders, wenn niemand die Frage stellt „Schaaaaatz, was denkst Du gerade?“. Die Gedanken sind frei und wir dürfen alles denken, was wir wollen und darin alles machen, was wir wollen. Sie dürfen sogar Ihren Partner in der Luft zerreißen, wenn er Sie, mit einer seiner tollen Ideen um die Ecke kommend, aus Ihren Gedanken reißt. Sie sollten es vielleicht nicht in die Tat umsetzen.
Trotzdem gibt es immer wieder Zeitgenossen, die sprechen Denkverbote aus. Besonders Religionsvertreter aber auch Politiker taten sich hier gerne schon häufiger hervor. Solange es allerdings keine Gedankenpolizei und Gedankenverbrechen im Orwell´schen Sinne gibt und auch die moderne Hirnforschung glücklicherweise noch keine wirklichen Rückschlüsse auf das zulässt, was wir denken, können und dürfen wir alles denken, selbst wenn es verwerflich oder der größte Blödsinn ist.
„Denken Sie nicht an einen rosa Elefanten!“ Dieser bekannte Satz verdeutlicht, dass es nicht funktioniert, unserem zu Gehirn sagen, es soll etwas nicht denken. Die Vorstellungskraft siegt über den Verstand. Wie viele rosa Elefanten rennen gerade durch Ihren Kopf? Ist es also Strategie, Verblendung oder Dummheit, wenn jemand ein Denkverbot ausspricht?
Bei modernen Politikern ist dagegen der Satz „Es darf keine Denkverbote geben!“ Mode geworden. Viele Medien greifen solch knallharte Aussagen gerne als Schlagzeilen auf. Es darf kein Denkverbot geben, wenn es um die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine geht. Es darf kein Denkverbot geben, wenn es um die Verlängerung des Betriebs von Atomkraftwerken geben… Die Aufzählung ließe sich um viele Beispiele erweitern.
Nachdem Sie nun ausgiebig über das Denken und das Nichtdenken nachgedacht haben, fallen Sie natürlich nicht mehr auf solche Sätze herein. Ihnen ist sofort klar, dass sich dieser Politiker zum Beispiel bei der Atomkraft dafür ausspricht, die verbliebenen drei Atomkraftwerke für eine Weile weiterlaufen zu lassen, um das Problem der Energieversorgung zu verkleinern. Er drückt sich nur deshalb so verquast aus, um sich alle Optionen offen zu halten. Schließlich bedeutet, über etwas nachzudenken noch nicht, die Gedanken in die Tat umzusetzen. Dieses Vorgehen ist clever, besonders wenn man gerade in der Opposition sitzt. Fällt die Regierung die Entscheidung für die Verlängerung, kann er betonen, er habe die Regierung dazu getrieben. Ist die Mehrheitsmeinung eine andere, kann er sich wunderbar damit rausreden, so habe er es nicht gemeint. So kann er seine Wähler bei Laune halten – denkt er zumindest.
Ich denke, als bin ich. Aber wer bin ich und wenn ja wie viele?
Wunderbarer Text. Vielen Dank. Ein bisschen Aufmunterung kann nie schaden – wunderbar!