Nach einem langen Zecherabend und einer kurzen Nacht steht mancher morgens im Badezimmer und fragt sich, wer ihn dort aus dem Spiegel anblickt. Kalte Wassergüsse und Spachtelmassen aller Art können oft nur unzureichend die Spuren des Feierns im Gesicht mildern. Wer sich nicht im Home Office verstecken kann und den Weg nach draußen antreten muss, durchleidet kleinere oder größere Verlegenheiten, denn spöttische Bemerkungen der lieben Kollegen sind garantiert.

Die Maskenpflicht in allen öffentlichen Räumen ist jedoch eine wunderbare Abhilfe. In Kombination mit einer getönten Brille kann man sich nahezu unerkannt bewegen. Außerdem wundert sich heutzutage kaum noch jemand, wenn der eine oder die andere ihre Mund-Nase-Bedeckung den ganzen Tag aufbehält. Schließlich gibt es ja besonders vorsichtige beziehungsweise rücksichtsvolle Zeitgenossen, für die der Schutz ihrer – vor allem ungeimpften – Mitmenschen ein sehr wichtiges Anliegen ist.

Wer sich besonders intensiv austobt oder genetisch nicht vom Glück geküsst wurde, dessen Gesicht erzählt früher oder später mehr oder weniger vom Leben. Während der eine stolz auf jede Falte als Beleg für vielseitige Erfahrungen ist, stürzt der andere von einer Krise in die andere, weil er dem Jahrmarkt der Eitelkeiten erhalten bleiben will. Die medizinische Schönheitsindustrie hat jedoch für jedes Problemchen eine passende Lösung und immer Zeit.

Wenn Sie versuchen über die modernen Online-Buchungssysteme einen Termin bei einem Hautarzt zu bekommen, müssen Sie sich meist sehr lange gedulden, außer Sie haben dringenden Beratungsbedarf in Renovierungsarbeiten im Gesicht. Sollten Sie es schließlich trotz Ihres banalen Anliegens geschafft haben, einen Termin zu ergattern, erhalten Sie bereits im Wartezimmer einen umfassenden Service. Weil aufgrund der Pandemie keine bunten Gesellschaftsblättchen mehr ausgelegt werden dürfen, können Sie ihre volle Aufmerksamkeit den ausgelegten Beratungsblättchen und den Postern widmen. Je länger Sie im Wartezimmer diese kostenfreien Informationen aufsaugen dürfen, desto mehr wachsen die Zweifel, dass Sie ohne verschönernden Eingriff in der Welt da draußen nicht mehr bestehen können.

Die Maskenpflicht würde auch in diesem Fall sehr gute Dienste leisten. Diese kann Sie motivieren, die letzten Hemmungen sausen zu lassen und Ihr Gesicht den Bildhauern der Schönheitsindustrie zur Bearbeitung freizugeben. Mit der Maske lassen sich alle Spuren bis zur kompletten Heilung verdecken und Sie brauchen niemandem mehr zu erklären, Sie seien nicht verprügelt worden.

Haben Sie den Schönheitschirurgen Ihres Vertrauens gefunden, könnte daraus eine lebenslange Freundschaft entstehen – zumindest so lange bis dieser in den vergoldeten Ruhestand geht. Angesichts der hohen Inflation ist es durchaus sinnvoll, sein Geld in Sachwerte zu investieren und diese Werte über die Jahre mit regelmäßigen Sanierungen und Renovierungen zu erhalten. Ein Gesicht zählt unbestritten zu den wichtigen Sachwerten des Lebens.

Wenn wir irgendwann einmal die Pandemie überwunden haben werden und die Maskenpflicht entfällt, sollten Ihre wesentlichen Sanierungsarbeiten abgeschlossen sein. Dann dürfen Sie stolz Ihr neues Antlitz zeigen. Seien Sie aber nicht irritiert, wenn alte Bekannte grußlos an Ihnen vorbeigehen wollen. Das Argument, sie hätten Sie wegen der Maske nicht wiedererkannt, gehört heute schließlich zum allgemeinen Sprachschatz.

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