Diese Bundestagswahl dürfe die spannendste werden, die wir in Deutschland bislang erlebt haben. Es liegt nicht nur daran, dass sich drei Spitzenkandidaten in etwa auf Augenhöhe begegnen, was die zu erwartende Anzahl der Stimmen betrifft. Vielmehr könnte es sogar passieren, dass der Kandidat beziehungsweise die Partei mit den meisten Stimmen nicht die nächste Bundesregierung anführen wird. Angesichts der Prognosen sind einige Konstellationen denkbar. Höchstwahrscheinlich wird sich eine Regierung aus drei Parteien bilden müssen, um eine sichere Mehrheit zu erlangen.
Es ist deshalb nachvollziehbar, wenn die Interviewer in den Fernseh-Triellen eine Antwort darauf bekommen wollen, welcher Kandidat sich mit welchen Parteien eine Regierungskoalition vorstellen könnte. Solche was-wäre-wenn-Szenarien kosten jedoch nur Fernsehzeit und führen zu keinem Ergebnis. Angesichts des voraussichtlich sehr knappen Ausgangs der Wahl, kann es sich kein Kandidat erlauben, eine mögliche Koalition – außer mit der AfD – von vornherein auszuschließen. Außerdem muss jeder Kandidat damit rechnen, dass Christian Lindner mit seiner FDP – als potenzieller Koalitionspartner für alle Drei – entweder zu erpresserischen Methoden greift oder Fluchtreflexe wie vor vier Jahren zeigt.
Für die Wähler heißt dies, sie können nicht sicher sein, mit der Wahl Annalena Baerbocks, Armin Laschets oder Olaf Scholz‘ automatisch eine klare, bestimmte politische Richtung zu erhalten. Es wird wesentliche Schwerpunkte geben, auf die jeder der Drei beharren wird. Für eine Regierungskoalition werden jedoch so viele Kompromisse erforderlich sein, dass mancher vor der Wahl als besonders wichtiger genannte Punkt entweder aufgeweicht oder sogar geopfert werden muss.
Das klingt für die Wähler auf den ersten Blick nicht besonders motivierend und mancher wird sich überlegen, ob er zur Wahlurne gehen soll … nach dem Motto: ich kann doch sowieso nichts ändern. Doch erstens wird es angesichts des knappen Ausgangs noch stärker als bei früheren Bundestagswahlen auf jede Stimme ankommen. Zweitens müssen sich die Wähler mit ihrer Entscheidung vor allem daran orientieren, wem von den Dreien sie es am ehesten zutrauen, eine gute, verlässliche und stabile Bundesregierung zu führen. Die Persönlichkeiten von Scholz, Laschet und Baerbock mit all ihren Erfahrungen und Fähigkeiten werden eine gewichtige, vielleicht sogar die entscheidende Rolle für das Ergebnis spielen. Für manchen Wähler mutet diese Wahl deshalb wie eine Direktwahl des Bundeskanzlers ohne Stichwahl an.