Fußballspiele werden komplexer. Der Zuschauer kann kaum noch nachvollziehen, wann ein Schiedsrichter auf Handspiel entscheiden muss. Ein Abseits, das mit bloßem Auge und normaler Kameraperspektive nicht mehr zu erkennen war, erfordert hochauflösende Technik. Damit lässt sich feststellen, dass im entscheidenden Moment der große Zeh des Stürmers ein Millimeter näher zum Tor war als die Haarlocke des letzten Spielers des verteidigenden Teams. Deshalb muss das erzielte Tor aberkannt werden.

Um solch schwierige Sachverhalte zu analysieren und zu erklären, braucht es ein Heer an Experten. Heute sitzt bei der ARD ein Moderator im Studio, der mit drei Profis bzw. Ex-Profis und Profitessen   (oder heißt es Profisinnen?) ein Fußballspiel vor- und nachbereitet. Am Spielfeldrand plaudert eine weitere Moderatorin mit einem Ex-Weltmeister vor dem Spiel, in der Halbzeit und nach dem Spiel über das Geschehen. Auch der eigentliche Kommentator des Spiels hat einen weiteren Experten – einen Fußball-Analytiker – an seiner Seite. Im Zweifel kann der Moderator oder der Kommentator sogar noch einen Ex-Schiedsrichter zu Rate ziehen, um zu beurteilen, warum ein Elfmeter gegeben oder nicht gegeben werden sollte. Früher konnte ein Reporter der ARD oder des ZDF ein Spiel alleine kommentieren.

Im Laufe der Übertragung ist zwar alles mindestens schon dreimal gesagt, aber noch nicht von jedem. Deshalb ist es wichtig, die Experten der Straße nach dem Spiel zu befragen. Dort entstehen die alles toppenden Aussagen: „Das war so geil, die pure Emotion, die ich heute gefühlt habe.“

Die wichtigste Frage, die Moderatoren und Interviewer stellen müssen, lautet: „Was macht das mit einem…? Diese brillante Konstruktion lässt sich unbegrenzt variieren und erweitern: „Was macht das mit einem Spieler, wenn ein Mannschaftskollege auf dem Feld zusammenbricht?“  Oder: „Was macht das mit einem Trainer, wenn die Spieler, das Tor nicht treffen? Ein ebenso variabler Kernfrage-Klassiker lautet: „Wie sehr…?“ Zum Beispiel:   „Wie sehr sind Sie heute mit der Leistung der Mannschaft zufrieden?“ Darauf antwortet der routinierte Experte: „Sehr zufrieden“. Besser wäre,  dem Befragten noch eine Skala von 1 bis 100 vorzugeben. Wunderbar auch die indirekten Fragen mit dem Wörtchen „man“. Eine schöne Frage an die Expertin: „Wie fühlt man(n) sich als Frau…?

Bleibt die entscheidende Frage für uns alle: „Was machst das mit einem Zuschauer?“ Er kapituliert vor dem geballten Expertenwissen und konzentriert seinen Fußballkonsum auf 90 Minuten plus Nachspielzeit … nur bei den wirklich wichtigen Spielen.

Der erfreuliche Nebenaspekt ist die hervorragende finanzielle Basis der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten. Ihnen geht es blendend, sie haben prallvolle Kassen, um sich eine so große Zahl an Experten leisten zu können. Sparen ist kein Thema mehr, dabei hatten die Senderchefs vor einigen Wochen noch den Untergang des öffentlich-rechtlichen Fernsehens prophezeit, wenn die Erhöhung des Rundfunkbeitrags nicht durchgesetzt wird. Wir dürfen nach dieser Europameisterschaft gespannt sein auf die Argumente, wenn die Diskussion um die Qualität des Fernsehens und dessen Finanzierung wieder aufflammt.

Ein Kommentar

  1. Das trifft es gut. Gern gehört auch die Frage direkt nach dem Spiel: Wie fühlen Sie sich?

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