Es ist ein Phänomen: Viele Frauen und Männer, die in Führungspositionen in Unternehmen oder in der Politik aufsteigen, erleiden eine zunehmende Verschlechterung sowohl ihres Seh- als auch ihres Hörvermögens. Je länger sie die Verantwortung tragen, desto größer ist zudem das Risiko an Demenz zu erkranken. Manche Manager und einige Politiker haben am Ende ihrer Dienstzeit fast vollständig ihr berufliches Gedächtnis verloren. Die Krankheit verläuft umso heftiger, je schlechter deren Leistungen waren. Haben diese gravierende Fehlentscheidungen getroffen oder löste deren Wirken gar strafrechtliche Ermittlungen aus, folgt die automatische Löschung fast des gesamten Erinnerungsvermögens. Vermutlich wird Top-Führungskräften zu Beginn ihrer Amtszeit ein entsprechender Chip implantiert.
Aktiengesellschaften gehen noch einen besonderen Weg: Um sicher zu sein, dass ein gescheiterter Vorstand verbal keinen Schaden mehr anrichten kann, schließt der Aufsichtsrat mit ihm einen Aufhebungsvertrag mit Verschwiegenheitsklausel – garniert mit einer schönen, mindestens siebenstelligen Abfindung. Danach mahlen alle juristischen Mühlen so langsam, aber präzise, dass sich bei allen anderen beteiligten und aussagefähigen Menschen der graue Schleier über die Erinnerungen legen kann. Zu Verurteilungen und Schadensersatzforderungen kommt es eher selten. Meist gibt es noch schöne juristische Deals, die die Verantwortlichen glimpflich davonkommen lassen. Leidtragende sind im schlechten Fall stattdessen die Stakeholder: Mitarbeiter verlieren ihren Job, Investoren Teile ihre Vermögens, der Staat Steuereinnahmen, Kunden Aufträge etc.
Ein schönes aktuelles Beispiel ist der Hersteller von Reisemobilen aller Art, Knaus Tabbert AG. Die Staatsanwaltschaft Landshut überraschte am 27.11.2024 das Unternehmen mit der Durchsuchung der Geschäftsräume und der Verhaftung der Vorstände Werner Vaterl (Chief Operating Officer) und Gerd Adamietzki (Chief Sales Officer). Beide Vorstände wurden sofort vom Aufsichtsrat entlassen. Als Vorwürfe stehen Korruption und Schmiergeldzahlungen im Raum. Der Vorstandsvorsitzende (CEO) Wolfgang Speck, der zugleich seit Monaten die Position des Finanzvorstands (CFO) innehatte, wusste angeblich nichts von den mit womöglich hoher krimineller Energie vollzogenen Machenschaften seiner beiden Vorstandskollegen. Der gesamte Aufsichtsrat zeigt sich ebenfalls überrumpelt.
Speck muss aber Ende Oktober 2024 ein komisches Gefühl bekommen haben. Deshalb sprach er bei der Aufsichtsratsvorsitzenden Esther Hackl vor. In dem Gespräch müssen beide plötzlich gemerkt haben, dass ihre Strategien für das Unternehmen nicht zusammenpassen. So durfte Speck nach elf Jahren innerhalb weniger Tage den Reisemobilhersteller „aus persönlichen Gründen“ verlassen. Gegen Speck wird von der Staatsanwaltschaft nicht ermittelt. Der Aufsichtsrat muss gleichwohl erhebliche Zweifel bekommen haben, ob Speck seine Arbeit solide ausführte. Deshalb schlug der Aufsichtsrat den Aktionären für die Hauptversammlung am 11. Juli 2025 vor, Speck nicht zu entlasten. Somit erhält sich das Unternehmen die Chance Schadenersatzforderungen gegen Speck zu stellen. Blöd nur, dass es die satte Abfindung noch im November 2024 schnell überwiesen hat.
Am 22. November 2024 ernannte der Aufsichtsrat Wim de Pundert, „bedeutender Aktionär und derzeitiges Mitglied des Aufsichtsrates, mit sofortiger Wirkung zum neuen CEO und CFO“ – sechs Tage bevor Vaterl und Adamietzki verhaftet und entlassen wurden. De Pundert hält über Investmentgesellschaften 41 Prozent der Aktien von Knaus Tabbert. Somit hat der Holländer zwischenzeitlich eine Mehrfachfunktion: Größter Aktionär und in der HV praktisch mit einer Stimmenmehrheit ausgestattet, CEO und CFO. Zudem darf er als Aufsichtsrat selbst seine Arbeit kontrollieren. Er kann es auch lassen. Dass er den Posten des CFO am 5. Dezember 2024 an Radim Ševčík abgab, ändert kaum etwas an seiner unglaublichen Macht im Unternehmen. Durch die Mehrheitsverhältnisse blieb in der Hauptversammlung alles beim Alten. De Pundert kann laut Aktienrecht bis 21. November 2025 nahezu schalten und walten, wie er will. Die Aufsichtsratsvorsitzende Hackl ist quasi eine Marionette von De Pundert. Sie wirkte und agierte schwach auf der Hauptversammlung.
Den Schaden zahlen andere. Der Aktienkurs stürzte von Juli 2024 bis zu den Durchsuchungen im Unternehmen um fast 70 Prozent ab. Dabei war er schon vorher durch schlechte Unternehmensnachrichten und die Senkung der Prognose stark gefallen. Nun dümpelt der Kurs seither in der Nähe seines Allzeittiefs dahin. Die geplante Dividende für das Geschäftsjahr 2025 kassierte das Unternehmen unter anderem wegen des Gewinneinbruchs ein. Dank des neuen Konsortialvertrags mit den Banken wird es auch für die Jahre 2025 und 2026 keine Ausschüttungen geben.
Inzwischen mussten zahlreiche Mitarbeiter „betriebsbedingt“ das Unternehmen verlassen. Wegen der Überproduktion wurden Schichten gestrichen und Kurzarbeit angeordnet. Knaus Tabbert spart an allen Ecken und Enden, holt ausgelagerte Dienstleistung wieder ins Haus. Der Lagerbestand wird abgebaut. Wie angespannt die Lage ist, lässt sich eventuell an den Halbjahreszahlen am 8. August ablesen. Zudem muss sich das Unternehmen noch mit dem Verdacht herumschlagen, Gewichtsangaben der Fahrzeuge manipuliert zu haben, um seinen Absatz zu verbessern. Vorstand und Aufsichtsrat haben alle Hände voll zu tun, die Probleme zu bereinigen und das Unternehmen wieder zu stärken. Gleichwohl haben die Kleinaktionäre und Aktionärsvertreter erhebliche Zweifel an den Fähigkeiten des aktuellen Managements. Besonders Hackl macht einen überforderten Eindruck. Für einen glaubwürdigen Neuanfang und eine lückenlose Aufklärung müssten De Pundert und Hackl gehen. Es braucht Platz für frische Kräfte von außen.